Dienstag, 10. Juli 1990

Südtirol 1990 - Tschengsler Hochwand 3.375 m - Aussichtskanzel über dem Vinschgau

Tschengsler Hochwand 3.375 m, Südseite mit Aufstiegsrouten
Übermorgen starten wir zu einer geführten Zweitagestour über die Finailspitze zur Weißkugel. Unsere letzte Vorbereitung führt uns bei perfektem Sommerwetter in den Fels der Tschengsler Hochwand, die uns aus Richtung des Vinschgaus seit Jahren mit ihrer mächtigen Nordwand beeindruckt. Die Gipfelrouten liegen auf der südlichen Rückseite, zu der wir über das Suldental und dem bei Sulden abzweigenden Zaytal gelangen. Wir befinden uns in bester Verfassung und verzichten darum für den Anstieg in das Zaytal auf den Kanzellift. Statt dessen nehmen wir ab Sulden den schönen Weg Nr. 5 längs dem Zaybach zur Düsseldorfer Hütte.






Düsseldorfer Hütte mit Ortler, Zebru, Königsspitze
Tschengsler Hochwand von Düsseldorfer Hütte
In Anbetracht des Traumwetters legen wir an der Düsseldorfer Hütte eine kurze Fotopause ein und ziehen dann auch gleich weiter. Vor uns ist bereits der Gipfel unseres Tagesziels deutlich auszumachen. In unserem Rücken liegt das sogenannte "Dreigestirn" mit Ortler, Zebru und Königsspitze. Auf dem Ortler und der Königsspitze waren wir in den Vorjahren. Als Eingeweihte schauen wir mit dem Wissen unserer Erfahrungen auf diese Gipfel. Unsere Leistung erfüllt uns mit Genugtuung, die Erfahrungen lehren aber auch Respekt und Demut vor der Natur.

 
"Dreigestirn", Suldental, Düsseldorfer Hütte
Der Normalweg führt über Schotterrinnen und einen Gratweg von Westen auf den Gipfel. Wir entscheiden uns für die direktere Route des "Erich-Otto-Steigs". Mit leichter Felskletterei gewinnen wir auf der markierten Route schnell Höhe. Schwierigere Passagen sind mit Leitern und verankerten Trittstufen gesichert. In Nähe des Gipfels treffen wir auf vereiste Stellen, die aber kein besonderes Problem bereiten. Hauptrisiko ist eine latente Steinschlaggefahr. Da wir auf der Route alleine und bei exzellentem Wetter unterwegs sind, bleibt das Risiko überschaubar. Das Gipfelkreuz können wir erst kurz vor dem Ziel wahrnehmen. Dann sind wir auch schon angekommen und lassen uns von der grandiosen Aussicht überwältigen.





Nach Südwesten schauen wir auf die mächtige Ortlergruppe. Fast 2.500 m tiefer liegt zu unseren Füßen der Vinschgau. In östlicher Richtung erkennen wir Kortsch, unser Urlaubwohnsitz, und das Schlandrauntal mit der Schlandersburg am Eingang. Nach Norden blicken wir auf den Ötztaler Hauptkamm, aus dem der Gipfel der Weißkugel herausragt. Das ist unser bereits geplantes Ziel für die nächsten Tage. Mit uns hält sich auf dem Gipfel eine Familie auf, die sich für unser Gespräch über die Weißkugeltour interessiert. Sie machen sich mit uns bekannt und stellen sich als Urlauber aus Bergisch-Gladbach vor, die eine Unterkunft in Taufers im Münstertal haben. Das Ehepaar möchte ihrem Adoptivsohn eine richtige Bergsteigertour ermöglichen. Sie fragen uns, ob wir uns vorstellen könnten, ihren Sohn mit auf die Weißkugeltour zu nehmen. Der Junge wirkt fit und die Konditionen schrecken nicht ab. Ja, das lässt sich organisieren. Wir werden noch unseren Bergführer Robert informieren, damit er die fehlende Gletscherausrüstung mitbringt.


Kortsch und Schlandersburg
Vinschgau, Reschensee, Weikugel
Weißkugel von Tschengsler Hochwand

  
Nachbemerkung
Seit dem Jahr 2002 besteht als dritte Aufstiegsroute ein Klettersteig über die Südflanke, der zu den schwierigeren Steigen zählt und für Anfänger nicht geeignet ist. Dieser sehr schöne und lohnende Klettersteig ist weniger vom Steinschlag gefährdet als die Erich-Otto-Route. Die luftigen Felspassagen zum Gipfel sollten jedoch ausschließlich mit Klettersteigausrüstung begangen werden. Aufgrund der Höhe muss noch weit in den Sommer hinein mit Schneeresten und vereisten Passagen gerechnet werden.

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