Freitag, 21. Juli 1989

Südtirol 1989 - Königsspitze 3.859 m - Königlicher Gipfel des 'Dreigestirns'

"Dreigestirn" - Königsspitze 3.859 m, Zebru 3.735 m, Ortler 3.905 m
Nachdem wir im Vorjahr den Gipfel des Ortlers (3.905 m) besucht haben (Post der Tour vom 27.07.1988) lockt in der als 'Dreigestirn' bezeichneten Berggruppe Ortler, Zebru und Königsspitze der Gipfel der Königsspitze als Herausforderung. In der Höhe ist die Königsspitze dem Ortlergipfel um ca. 50 m unterlegen. Mit einer formvollendeten, beherrschenden Erscheinung ist die Königsspitze jedoch nicht nur besonders auffällig, sie gilt als attraktivster Berg des 'Dreigestirns' und als einer der 'schönsten' Berge der Ostalpen. Auf den Gipfel führen mehrere Routen, die alle mehr oder weniger anspruchsvoll sind und je nach Bedingungen auch als gefährlich gelten. Die Königsspitze ist kein Berg für Anfänger, sondern ein Gipfel für Könner. Nach kontinuierlicher Entwicklung unserer Fähigkeiten fühlen wir uns 1989 bereit zur Besteigung.





Vorbereitung

An der Beseitigung unsere Defizite der Felsklettertechnik haben wir inzwischen gearbeitet. Dank ganzjährigen Lauftrainings bleiben konditionelle Fortschritte nicht aus. In der ersten Julihälfte 1989 nehmen wir an einer geführten Tour auf einige Viertausender in der Monte Rosa Gruppe teil. Die Tour fällt uns leicht. Wir zählen zu den stärksten Teilnehmern der Gruppe. Von der Monte Rosa reisen wir mit einer perfekten Höhenanpassung zu unserem Anschlussurlaub in Südtirol. Jetzt ist die Königsspitze fällig. Bergführer unseres Vertrauens ist Robert von der Bergschule Meran, der uns 1988 auf den Ortler geführt hat. Wir nehmen Kontakt mit Robert auf und verabreden uns.

Am Tag vor dem Gipfelaufstieg

Unser Treffpunkt in Kortsch ist unser Urlaubswohnsitz im Vinschgau, in dem uns Bergführer Robert am Gasthof Schwarzer Adler abholt. Wie immer, sind wir auch heute weit vor der vereinbarten Zeit bereit. Unsere Wartezeit verkürzen wir mit einem Glas Rotwein im Garten des Gasthofes.









Robert entscheidet sich für einen Aufstieg ab dem Rifugio Pizzini im Val Cedèc. Die Anreise ist zwar deutlich länger als bei einem Aufstieg über das Rifugio Casati, aber die Route zum Gipfel ist kürzer und sie erspart uns zudem mehr als 500 Höhenmeter Abstieg/Aufstieg vom/zum Plateau, auf dem das Rifugio Casati in 3.269 m Höhe liegt. Außerdem bietet das Rifugio Pizzini deutlich mehr Komfort als das Rifugio Casati, was für uns nicht unbedeutend ist.





Die Route über den Normalweg
Der Normalweg (1) ist vom Rifugi Casati oder vom Rifugio Pizzini zu erreichen und führt von der Vedretta del Gran Zebrù zunächst nördlich in eine 45 Grad steile Rinne, die wegen hoher Steinschlaggefahr auch "Steinschlagrinne" genannt wird. Die Rinne muss so schnell wie eben möglich passiert werden und erfordert eigentlich einen Steinschlaghelm, den jedoch niemand mitführt.



Am oberen Ausgang der Rinne liegt auf dem südostlichen Bergrücken in der Höhe von 3.462 m das Königsjoch. Ab hier führt der Aufstieg zum Gipfel über das Schnee- und Eisfeld des Südostrückens mit einer durchschnittlichen Steigung von 40 Grad. Je nach Bedingungen besteht auch hier häufig Steinschlaggefahr. Bei starker Vereisung muss mit Eisschrauben gesichert werden.






Die Route über den Südostrücken mündet in einen luftigen, überwechteten Firngrat, auf dem in westlicher Richtung der Gipfel mit seinem Gipfelkreuz erreicht wird.
Unterhalb des Firngrats befand sich bis zum Jahr 2001 ein "Schaumrolle" genannter voluminöser Hängegletscher, der vermutlich aufgrund der Klimaveränderung am 5.06.2001 abgebrochen ist.





  

Unser Aufstieg

Aufbruch am Rifugio Pizzini
Steigeisen ab der Vedretta del Gran Zebrù
In Westalpenmanier brechen wir gegen 6:00 Uhr in der Morgendämmerung auf. Außer uns starten von der Hütte nur noch zwei weitere Bergsteiger aus Italien. Das Wetter wirkt noch unentschieden. Es ist locker bewölkt. Wir hoffen, dass die Wolken noch abziehen. Der Vedretta del Gran Zebrù bereitet keinerlei Probleme. Kaum befinden wir uns in die Steinschlagrinne, fliegen bereits die ersten Felsbrocken an uns vorbei. Einige Male müssen wir uns ducken oder zur Seite drehen, damit uns keine Steine treffen. Ein Stein trifft meinen Rucksack, was aber ohne Folgen bleibt. Robert treibt uns an. Wir machen Druck bis zum Anschlag.
Nach kurzem Verschnaufen am Königsjoch steigen wir in die Südostflanke ein. Robert führt uns am kurzen Seil. Eine Neuschneeauflage von ca. 30 cm Höhe zeigt ausreichende Haftung mit dem Untergrund und macht eine Sicherung mit Eischrauben überflüssig. Robert geht spurend voraus und leistet Schwerstarbeit. Unter diesen günstigen Bedingungen durchsteigen wir zügig das Schneefeld bis zum Firngrat, auf dem es etwas flacher wird. Die Sicht beträgt inzwischen nur noch ca. 10 Meter. Hoch konzentriert bewegen wir uns äußerst vorsichtig und trotzdem möglichst schnell.


Angekommen am Gipfelkreuz der Königsspitze
Wie ein Spuk taucht vor uns im Nebel das Gipfelkreuz auf. Die beiden Italiener sind kurz vor uns angekommen. 2:30 Std. Gehzeit haben wir ab der Hütte benötigt. Das ist auch für Robert ein Rekord. Wir gratulieren uns gegenseitig. Die beiden Italiener sind voller Anerkennung für unsere Leistung. Ein Beweisfoto muss natürlich sein, aber das erhoffte Panorama bleibt in den Wolken verborgen. In Anbetracht der Bedinungen kehren wir bald um.

















Im Schneefeld der Südostflanke
Vedretta del Gran Zebrù mit Steinschlagrinne
Auf dem Rückweg passieren wir das Schneefeld der Südostflanke locker und mehr rutschend als absteigend. Eine größere Gruppe kommt uns mit mehreren Seilschaften im Aufstieg entgegen und beklagt sich darüber, dass wir die Spur zerstören. Sorry, Leute, das ist unsere Spur, die wir am Morgen gelegt haben. Ihr seid genug Leute, um euch eine eigene Spur zu legen. Inzwischen ziehen auch die Wolken ab und geben den Blick auf den Berg frei. Schade, die Sicht kommt leider für uns zu spät. 
Robert hat heute wieder einen super Job geleistet. Er zeigt sich auch mit uns sehr zufrieden und stellt fest, dass wir uns seit der Ortlerbesteigung im Vorjahr stark verbessert haben. Danke, Robert! Wir machen weiter. Halte uns bitte einen Termin für den Sommer des nächsten Jahres frei.





Nachbemerkungen

Im Folgejahr verunglückt eine komplette geführte Seilschaft mit 5 Bergsteigern tödlich durch einen Absturz in der Südostflanke. Es beweist sich einmal mehr, dass bei vereisten Verhältnissen in steilen Hängen der Sturz eines Einzelnen ein hohes Risiko für die gesamte Seilschaft bedeutet, wenn nicht ausreichend gesichert wird. Sicherung kostet wiederum Zeit und mit übermäßigem Zeitverbrauch können neue Risiken entstehen. In diesem Konflikt ist offensichtlich die bekannte Regel, dass Anseilen auch Sicherung erfordert, nicht konsequent berücksichtigt worden.

In mehreren Sommern ist die Königsspitze inzwischen wegen extremer Risiken komplett für Besteigungen gesperrt worden. Mit dem Rückgang der Vergletscherung und des Permafrosts ist die Steinschlaggefahr weiter angewachsen. Unabhängig vom persönlichen Befinden würden wir eine Tour auf die Königsspitze aufgrund der Risiken heute nicht mehr gehen.

1 Kommentar:

  1. Wie wahr diese Warnungen sind zeigen die beiden tragischen Unglücke am Sonntag 23.06.2013 mit insgesamt 6 Toten - eben genau in der steilen Süd-Ost-Flanke...

    AntwortenLöschen